Verbindliche Werte in der freien Wirtschaft

Der Gastbeitrag von Dr. Eckhard Bieger setzt sich mit der Frage auseinander, mit welchen Werten die garantierte Freiheit für Unternehmen sinnvoll gefüllt werden kann.
Dr. Bieger leitete jahrelang die katholische Medienarbeit und lehrt an der Hochschule St. Georgen in Frankfurt. Er ist Autor und Mitbegründer der Initiative Netzwerk Wirtschaft und Werte.
Unsere Verfassung stellt die Freiheit als den höchsten Wert heraus. Aus der Freiheit leitet sich die Würde des  Menschen her, nämlich dass er über sich selbst bestimmen kann. Im Bereich der Wirtschaft wird die Würde des einzelnen durch das freie Unternehmertum, die freie Berufswahl, die freie Wahl des Arbeitsplatzes geachtet.
In dieser Freiheit entscheide ich persönlich darüber, welches Produkt ich einkaufe, für welche Unternehmen ich arbeiten möchte oder wie ich meine persönliche Zeit zwischen Arbeit, Aus- und Weiterbildung und Freizeit verteile.  Im Tiefsten habe ich meine Freiheit dafür, über den Sinn meines Lebens zu bestimmen. Das tue ich, indem ich mich entscheide, nämlich für eine bestimmte Berufsausbildung, für einen bestimmten Freund, eine bestimmte Partnerin, für Kinder und auch für eine Weltanschauung. Der einzelne tut es auch in der Weise, wie er am Wirtschaftsleben teilnimmt. Er kann sein verfügbares Geld und seien verfügbare Zeit einsetzen, indem er Bildung „kauft“, seinen Fotoapparat benutzt, um eine hochwertige Fotosammlung aufzubauen, sich mit anderen im Gasthaus trifft – oder seine Lebenszeit weniger intensiv nutzt. Er kann sein Geld auch für Zigaretten ausgeben und damit noch seiner Gesundheit schaden. Aus der Sicht der Unternehmen, die ihre Waren und Dienstleistungen anbieten, scheint es gleich zu sein, ob jemand Bildung oder Zigaretten kauft. Ebenso für den Staat, der Geld braucht, ob es durch Zigarettenkonsum oder Bildungskonsum entsteht.
Selbstverständlich ist auch jedes Unternehmen im Rahmen bestehender Gesetze frei seine Schwerpunkte und Werte zu bestimmen. Es kann sich einseitig darauf beschränken lediglich den Profit zu maximieren oder sich für den höchsten Börsenwert, den höchsten Umsatz, die größtmögliche Sicherung der Arbeitsplätze, den größten Kundennutzen für die produzierten Produkte oder Dienstleistungen entscheiden. Bisher schien es gleich, welchem Ziel sich ein Unternehmen verschrieben hat, es musste nur profitabel sein. 
Wenn das alles frei ist, warum sind die einen Unternehmen erfolgreich und die andere nicht. Warum führt die eine Wirtschaftspolitik zu mehr Wohlstand, eine andere zu einer wachsenden Staatsverschuldung? An sich müsste doch alles gut gehen, wenn genügend Freiheitsspielräume bestehen. Das wurde uns immer wieder gesagt. Freie Marktwirtschaft heißt, dass die unternehmerischen Initiativen sich frei entfalten und damit für alle der Wohlstand wächst.
Deshalb haben die USA und Großbritannien die Geldmärkte von New York und London möglichst wenig reguliert, um dem Wachstum der Finanzmärkte möglichst freien Raum zu geben. Keine Regulierung, das war der Imperativ des Neoliberalismus. Das Ergebnis beschäftigt die Menschen seit der Immobilienkrise den USA und der daraus folgenden weltweiten Bankenkrise. Offensichtlich funktioniert die Freiheit doch nicht einfach, wenn sie möglichst frei ist. Sie funktioniert auch nicht, wenn der Staat die Lenkung übernimmt. Dafür ist das Experiment des Kommunismus der Beweis, der nicht mehr diskutiert werden muss. Das Zerstörerische der freien Wirtschaft, die Geldvermehrung als Unternehmensziel und zugleich als Staatsziel im Sinne der Maximierung der Steuereinnahmen definiert hat, müssen jetzt die Steuerzahler ausbaden.
Offensichtlich waren die Richtgrößen des wirtschaftlichen Handelns falsch gewählt.
Es ist in der Wirtschaft nicht anders als im individuellen Leben. Es hängt von den Werten ab, für die ich mich entscheide, ob mein Leben glückt oder ob ich mit meinem Lebensentwurf ins Abseits gerate und auf die Hilfe anderer angewiesen bin. Offensichtlich war die Unternehmensstrategie, nicht nur der Banken, selbst-zerstörerisch. Wenn die Getränkeindustrie auf Alkoholismus setzt, um ihre Umsätze zu erhöhen, dann ist das die gleiche Logik, wenn das Maximum an Gewinn das Unternehmensziel darstellt.
Es ist also nicht gleich – gültig, welche Werte im Wirtschaftsleben das Handeln leiten. Wenn Alkoholismus den Erfolg der Getränkeindustrie sichern würde, (das ist nicht der Fall), dann würde sich diese Industrie selbst zerstören, denn die Folgekosten wären höher als mit dem zu erzielenden Gewinn, den ein Marketing bewirkt, das auf die Heranbildung von Alkoholikern zielt. Ähnlich muss es in Abteilungen der Investmentbanken zugegangen sein. Der Neoliberalismus hatte versprochen, dass die Marktkräfte genügen, um eine funktionierende Wirtschaft zu garantieren. Der Zusammenbruch der Lehmannbank hat gezeigt, dass die Marktkräfte selbst den Markt zum Zusammenbruch bringen können.
Werte gelten für alle Marktteilnehmer, nicht nur für die Manager
Die Finanzkrise wird von den Wirtschaftsredaktionen so dargestellt, als seien die Manager die Allein-Schuldigen. Der Bürger mit seinem Verhalten als Käufer und Nutzer von Dienstleistungen hat aber mitgespielt. Er hat nicht nur Anleihen und Fondsanteile mit dem jeweils höchsten Renditeversprechen gekauft, ohne zu überlegen, welche Risiken er eingeht. Mit der Jagd nach den billigsten Angeboten hat er die Verlegung von wenig qualifizierten Arbeitsplätzen ins Ausland betrieben. Er hat auch die falschen Kaufentscheidungen getroffen. Statt in die eigene Fortbildung zu investieren, hat er Zeit und Geld in mehrere Urlaubsreisen pro Jahr investiert. Weil viele ein ungesundes Leben führen und nichts für die eigen Gesundheitsvorsorge tun, gibt es zu viele Infarkte, Osteoporose, Alterszucker, Alzheimer u.a. zivilisationsbedingte Krankheiten. Alle beklagen die hohen Kosten des Gesundheitssystems, anstatt die Angebote der Ernährungsberatung, der Sportvereine und Fitnesszentren zu „kaufen“.
Und die Kirchen? Sie, vor allem ihre Sozialethiker, sind in den Fragen der siebziger Jahre hängen geblieben. Die Prediger sind naiv den Thesen des Neoliberalismus gefolgt: Man muss den Markt nur machen lassen, möglichst wenig eingreifen, mehr Ethik ist nicht notwendig.
Die Finanzkrise ist nur die Spitze des Eisberges einer im Ganzen vom Fehlverhalten vieler in den Ruin getriebenen Wirtschaft. Die Manager haben zweifellos eine größere Verantwortung als die Käufer ihrer Produkte, aber wenn diese die falschen Produkte kaufen, gerät die Wirtschaft vom Weg ab, nämlich dem Menschen zu dienen. Ich wünsche mir mehr Unternehmen, die über den Tellerrand des kurzfristigen wirtschaftlichen Erfolges hinausschauen und sich einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung verpflichten.
Eckhard Bieger S.J. Netzwerk Wirtschaft&Werte
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